Wolfgang Walters Bilder
Es gehört zum Erkenntnisstand der neueren Kunstbetrachtung, dass das, was wir als „Kunst" bezeichnen, erst im Kopf des Betrachters entsteht, dass der Betrachter mit Hilfe seiner Wahrnehmungsinstrumente etwas, das er sieht, zu „Kunst" erklären kann. Diese Instrumente muss man sich aneignen und den Umgang damit lernen, sie sind uns nicht angeboren. Seit die Bildnerei auch solche Bestandteile der Wirklichkeit in ihr Repertoire aufgenommen hat, die nicht der Welt der sichtbaren Dinge entstammen – das ist seit mehr als hundert Jahren der Fall –, müssen wir das Sehen so lernen wir das Laufen und das Essen mit Messer und Gabel. Und wenn wir es gelernt haben, wird es zur Selbstverständlichkeit – vergleichbar mit dem Laufen und dem Essen mit Messer und Gabel. Wer es nicht lernt, wird als „Kunst" nur anschauen können, was einer Könnerschaft entspringt, über die er selbst nicht verfügt und wird lediglich bewundern, was er sieht. Die weite und tiefe Welt der Kunst wird ihm verschlossen bleiben, und zwar in der schlimmstmöglichen Form: Er wird dies Fehlen nicht als Mangel empfinden ...
Wenn es stimmt, dass die Kunst erst im Kopf des Betrachters zur solchen wird, dann sind die Objekte, die dies auslösen (die Bilder, Skulpturen usw.) nicht selbst die Kunst, sondern nur eine Art Rohmaterial, das zur Schau gestellt wird, das unsere Wahrnehmung auf die Probe stellt. Man kann daran vorbeigehen, dann ist einfach nichts passiert, man kann es anschauen, dann gefällt es oder nicht, dann kommt es als Dekoration für’s Wohn- oder Schlafzimmer in Frage, man kann es sehen, dann wird man an einer der größten Freuden teilhaben, die die Welt bereithält: der Empfindung von ästhetischer QUALITÄT, die jeder guten Kunst eigen ist, und diese Empfindung ist das „Erlebnis von Kunst".
Wolfgang Walter ist ein Künstler, der sein Werk in den Dienst dieser Erkenntnis stellt. Selten sieht man ein „Rohmaterial", das derart bescheiden und sanft, gleichzeitig aber entschieden dargeboten wird, wie er es mit seinen Bildern tut. Die stellen keine Ansprüche und Fragen, die geben keine Antworten. In ihrem So-Sein wollen sie nichts ausdrücken als allein ihre Qualität, nämlich höchstmögliche Verdichtung von Form, Farbe und Material mit einem strengen Blick hin aufs Resultat, Konzentrierung aller Bestandteile, bis alles seinen unverrückbaren Platz eingenommen hat. So macht Wolfgang Walter seine Bilder.
Denn in der Tat sind sie weit mehr gemacht als gemalt. Zwar gibt es da auch Pinsel in seinem Atelier, aber meist findet die Farbe direkt aus der Tube oder Flasche den Weg auf die Leinwand, und die Spachtel ist das Hauptwerkzeug. Und verschiedenartiger Sand aus diversen Säcken, Schachteln, wird gestreut. Und Kaltleim aus Eimern, wird geschüttet. Als Malgrund verwendet Wolfgang Walter traditionell Leinwand, auf Keilrahmen aufgespannt, und es gibt herrliche Geräusche, wenn die Spachtel mit nicht zu schwachem Druck darüberkrascht, eine Schicht aus nassem Sand zerpflügend.
Oft liegen die Leinwände am Boden, während Walter sie bearbeitet, und seine Bewegungen werden aus stetem Annähern und Abstandnehmen gebildet: Das prüfende Auge braucht die Distanz, nimmt Maß, dann ein Ausfallschritt, und mit sicherem Spatel wird die Furche gezogen, die Farbe neu verteilt. Auf dem liegenden Bild stehen mitunter ganze Seen aus Wasser und Farbe, mit Inseln aus Sand und Steinen, die Walter darübergeschüttet hat. Indem der Künstler das Bild vom Boden anhebt, schräg stellt, geraten diese Flüssigkeiten in Bewegung, werden vom Sand aufgesogen, das Überflüssige verlässt die Leinwand und ergießt sich auf den Atelierboden – Wolfgang Walter „macht" sie wirklich, die Bilder, in einem physischen Vorgang, einer Kette von Prozeduren – manchmal bearbeitet er mehrere Leinwände gleichzeitig –, die vom Vorgang des stillen Komponierens weit entfernt sind. Walter ersinnt seine Bilder nicht, er, der Bildermacher, lässt sie vielmehr werden und macht sich selbst zum Werkzeug ihres Entstehens.
Deshalb ist in ihnen so viel vom Künstler enthalten; wiewohl auf subtile Weise, denn dieses Persönliche befindet sich jenseits des Sichtbaren, ist aber der Kern dessen, was uns als fertiges Bild, als entschiedene „Qualität" entgegentritt. Wolfgang Walter beschränkt sich auf das Zurverfügungstellen von ästhetischem „Rohmaterial". Dies über unsere Augen in den Kopf zu lassen, ist ein Angebot, das man schwer ausschlagen kann, und eine Aufforderung, der man sich nicht widersetzen sollte: Denn dort wird es zur Kunst.
Dr. Peter Laub
Kunsthistoriker
Salzburg, Juli 2007