Texte zu Wolfgang Walters Bildern

  • "Das Geheimnis der Oberfläche" von Dr. Peter Laub


    Zur Kunst Wolfgang Walters

    Wenn Wolfgang Walter ein Bild macht, dann sind da Energien am Werk, die vorderhand nicht mit Kunst in Verbindung gebracht werden. Da wird geschüttet, gekratzt und geschabt, da wird gerüttelt, gewischt, gespritzt, er putzt und pinselt und streichelt, im Stehen, im Sitzen, im Knien, am Boden, an der Wand, am Tisch arbeitet Walter, er bearbeitet die in den Keilrahmen gespannte Leinwand – auch akustisch ist das durchaus ein Ereignis –, dann wieder tritt er zurück, sinnt ein wenig, um sich erneut auf das Bild zu stürzen, um das bis jetzt Getane wieder zu modifizieren, aufzubauen, zu zerstückeln, zuzuschütten, aufzuschneiden. Während seiner Arbeit überschreitet Walter die Grenzen der Malerei weit, und echte Tiefenräumlichkeit kommt ins Spiel, Relief, eine fragile haptische Qualität. Das ist ein Vorgang, der mit einem starken Materialeinsatz beginnt – Farbe, Sand, Leim etwa werden schnell und heftig aufgebracht –, um eine Grundlage zu schaffen, eine machtvolle, gültige Oberfläche. Die eigentliche Arbeit besteht im Verändern dieser Oberfläche, im Bearbeiten der eigenen Materialprämisse, bis der Künstler die Leinwand in einen Zustand gebracht hat, den er als „Bild" definiert. In diesem Augenblick ist die Arbeit daran beendet. Weitere Modifikationen werden nicht vorgenommen.

    Es ist dies ein prozessorientiertes Arbeiten, das getragen ist vom Vertrauen in die eigenen Möglichkeiten, von der Sicherheit, das Richtige im richtigen Augenblick zu tun. Keine vorgefertigten Konzepte und Überlegungen steuern die Bildwerdung, sondern Spontaneität und ein Höchstmaß an Subjektivität. Walters Bilder sind die unabsehbaren Resultate von Vorgängen, die aus seinem Inneren drängen und Gestalt annehmen.

    Dennoch ist Walter kein Action-Painter. In all seinem Tun waltet die feste Instanz einer feinen Kontrolle, die als eine Mischung aus Erfahrung und Entdeckerfreude die Dinge wie aus der Ferne überwacht. Seine künstlerische Vorgehensweise ist von einem Verstand geleitet, der sich zurücknimmt im Wissen, dass nur so wirklich Neues entstehen kann. Denn das ist ein zentrales Element in Walters Kunst: Unbekanntes, noch nicht Geschautes, nie Dagewesenes soll in seinen Bildern sein, eine Verwerfung etwa, die sich dem beschleunigten Trocknungsvorgang zweier unverträglicher Materialien verdankt, Stellen im Bild also, die aus dem Zusammentreffen von Willen und Zufall hervorgehen, die mithin vornweg nicht planbar sind – sind sie planbar geworden, also in das Repertoire der Ausdrucksmittel des Künstlers übergegangen, so sind sie wohl zielgerichtet einsetzbar, aber keine Neuheiten mehr.

    Vielmehr als Kompositionen im strengen theoretischen Sinn sind Walters Bilder gestaltete Oberflächen. Das Kompositionelle ist bei ihm die notwendige Organisation der einzelnen Oberflächenbestandteile, das Gerüst, in dem die Sensationen eingehängt sind, es ist lediglich der Zugang zum Eigentlichen. Die Komposition ist die oberste Fläche, von der aus man in die Tiefe gelangt. Deshalb spielt sie bei Walter gleichermaßen eine wichtige und eine untergeordnete Rolle. Man braucht sie, um ins Bild zu kommern, doch dann lässt man sie hinter sich ...

    Und begibt sich auf eine Augenreise in die Geologie des Bildes. Wolfgang Walter versteht es, seine Bilder das sagen, wenigstens fragen zu lassen, was an den Begriff der Oberfläche stets gekoppelt ist: Das Dahinter, das Darunter. Eine Oberfläche steht nie für sich allein, immer ist sie nur das Sichtbare, hinter dem sich verbirgt, was verborgen sein soll. Dieses illustre Changieren ist nicht allein ein philosophisches Spiel, bei Walter ist es die Visualisierung quasi physikalischer Vorgänge. Dass „Verwitterung" bei ihm eine große Rolle spielt, verwundert nicht. Wind, Regen, Kälte, Hitze setzen Außenwänden zu, mit der Zeit widersteht kein Menschenwerk diesen Elementen. Walter spielt diese Zersetzungsprozesse nach, er beschleunigt die Zeit und lässt in rasender Geschwindigkeit seine selbst hergestellten Oberflächen „altern", nicht um ihnen ihre Geheimnisse zu entreißen, sondern – im Gegenteil – um sie zu Trägern einer immensen Fülle an Geheimnissen aufzuladen.

    Dr. Peter Laub

    Kunsthistoriker und Fotograf

    Salzburg, im November 2008

  • "Über die Bilder von Wolfgang Walter" von Prof. Matthias Kaufmann


    Wolfgang Walter wählt seit jeher als Charakteristikum seiner Kunst das Oxymoron, also den scheinbar in sich widersprüchlichen Begriff „dynamische Ruhe". Damit verweist er uns auf die Bedeutung der Meditation für seine Arbeit. Bei der Meditation, die es in vielen Religionen und spirituellen Praktiken in sehr unterschiedlichen Formen der Ausübung gibt, handelt es sich schließlich um eine bestimmte Form der Ruhe und Besinnung, die gerade mit dem Vorgang der Sammlung und Findung, einer intensiven inneren, in manchen Fällen auch äußeren Bewegung verbunden ist. Soviel lässt sich wohl trotz der enormen Vielfalt meditativer Methoden sagen. In der christlichen Tradition ging man zeitweise dazu über, zwischen der auf ein Objekt gerichteten Meditation und der von jedem Gegenstandsbezug abgelösten Kontemplation zu differenzieren. Allerdings führte die Unmittelbarkeit des spirituellen Bezugs in der christlichen Mystik gerade zum Misstrauen, zum Häresievorwurf von Seiten der Kirche. Wir müssen uns keine Gedanken darüber machen, ob der Vorwurf des Irrationalismus gegen die Anhänger von Meister Eckhardt und der Theresa von Avila berechtigt war oder nicht.

    Nach meiner Ansicht haben diese Bilder mit Irrationalismus und Mystik allemal nichts zu tun, auch wenn wir sie als Gegenstand der Meditation, als Einladung zur Meditation, als Fokus für die Meditation verstehen. Sie weisen uns den Weg in eine geheimnisvolle Welt, in der wir einen Moment des Innehaltens und der Besinnung erfahren können. Dafür, dass wir bereit sind in diese Welt einzutauchen, uns in sie hinei­nziehen zu lassen, sorgt die Gleichzeitigkeit von farblicher Intensität und eigenwilliger Harmonie, von gelungener Formgebung mit einem sehr individuellen und imaginativen Umgang mit diversen Werkstoffen, die mit unterschiedlichen Techniken auf die Leinwand aufgetragen werden.

    Mit diesem Rückgriff auf verschiedene Materialien und Techniken gibt Wolfgang Walter seinen Bildern anhand der Variation der Körnung, durch entstehende kleinere oder größere Schattierungen eine dritte Dimension. Er macht uns damit zu Spurensuchern und Archäologen. Die Oberflächen, denen wir uns auf diesen Bildern gegenübersehen, verweisen uns auf ihre Geschichte, lassen uns Hypothesen anstellen über Entstehungs- und Vergehensprozesse. Gerade die Geschichte, unsere Geschichte ist natürlich ein bestimmendes Moment unserer Identität, die wir in der Beschäftigung mit unserer Umgebung herausbilden, zu der uns mitunter gerade der Weg aus der alltäglichen in eine fremde Welt ein Stück verhilft. Die Pforten in diese fremde Welt mit ihren eigenen Dimensionen und Perspektiven sind auf den Bildern erahnbare Tore, Türen, Fenster. Sind wir angekommen, so wollen rhythmische Zeichenreihen und andere Chiffren von uns interpretiert werden, von denen wir nicht so genau wissen, ob sie durch eher beiläufiges Handeln entstanden sind, oder Bedeutung tragen oder getragen haben. Wir stellen fest, dass wir uns diese Welt erst kreieren, erdeuten müssen.

    Welche Rolle diese Verbindung aus der Historizität einerseits, der Geometrie der Fläche und des Raumes andererseits für Walters Kunst spielt, sehen wir auch an der besonderen Art, wie er seine Bilder benennt. Er ist dazu übergegangen, den Bildern keine individuellen Titel oder Namen mehr zu geben, sondern sie  einer der vier Kategorien: Verwitterung, Quadrat, Korpus, Flächenspiel zuzuordnen und die zu einer Kategorie gehörenden Bilder durchzunummerieren. Sollten Sie eines der Werke erwerben, finden Sie auf der Rückseite entsprechend eine dieser Benennungen und eine Zahl. Offensichtlich handelt es sich bei der Benennung eher um eine Schwerpunktbildung als um Ausschließlichkeit, da die meisten Bilder Elemente aus mehreren, wenn nicht allen dieser Kategorien enthalten.

    Wolfgang Walters Bilder bieten mit dem Kosmos, zu dessen Erschaffung wir geladen werden, einen freundlichen Spiegel einer pluralistischen Welt, in der nicht mehr ein Interpretationsangebot fraglos dominiert, in der wir auf allen Ebenen zwischen alternativen Erklärungsvorschlägen unseren Ort, unsere Sicht der Welt mit ihrer Geschichte, unsere Interpretation ihrer vielfältigen Zeichen, unsere Auffassung vom Sinn des Lebens zu finden haben. Durchaus können dabei unterschiedliche, auf den ersten Blick heterogene Deutungsansätze miteinander und nebeneinander bestehen bleiben. Wir sind kontinuierlich dieser Vielfalt und Reizüberflutung, der Konkurrenz verschiedener Weltdeutungen ausgesetzt, haben andererseits damit auch die Möglichkeit, unsere je eigene Interpretation zu entwickeln, in der Beschäftigung mit den uns umgebenden Dingen und mit den Menschen, die ihnen in teils ähnlicher, teils recht verschiedener Weise gegenüberstehen.

    Wolfgang hilft uns mit seinen Bildern beim Umgang mit dieser Welt, indem er uns auffordert, zunächst einmal den von ihnen geschaffenen, im Grunde recht harmonischen und zugleich spannungsreichen Kleinkosmos mit unserer Deutung zu erschließen.

    Indem wir uns so in diese enorm reichen Bilder vertiefen, können wir teilhaben, an jener dynamischen Ruhe, die sie ausstrahlen.

    Prof. Matthias Kaufmann

    Erlangen, November 2009

  • "Die Kunst im Kopf" von Dr. Peter Laub


    Wolfgang Walters Bilder

    Es gehört zum Erkenntnisstand der neueren Kunstbetrachtung, dass das, was wir als „Kunst" bezeichnen, erst im Kopf des Betrachters entsteht, dass der Betrachter mit Hilfe seiner Wahrnehmungsinstrumente etwas, das er sieht, zu „Kunst" erklären kann. Diese Instrumente muss man sich aneignen und den Umgang damit lernen, sie sind uns nicht angeboren. Seit die Bildnerei auch solche Bestandteile der Wirklichkeit in ihr Repertoire aufgenommen hat, die nicht der Welt der sichtbaren Dinge entstammen – das ist seit mehr als hundert Jahren der Fall –, müssen wir das Sehen so lernen wir das Laufen und das Essen mit Messer und Gabel. Und wenn wir es gelernt haben, wird es zur Selbstverständlichkeit – vergleichbar mit dem Laufen und dem Essen mit Messer und Gabel. Wer es nicht lernt, wird als „Kunst" nur anschauen können, was einer Könnerschaft entspringt, über die er selbst nicht verfügt und wird lediglich bewundern, was er sieht. Die weite und tiefe Welt der Kunst wird ihm verschlossen bleiben, und zwar in der schlimmstmöglichen Form: Er wird dies Fehlen nicht als Mangel empfinden ...

    Wenn es stimmt, dass die Kunst erst im Kopf des Betrachters zur solchen wird, dann sind die Objekte, die dies auslösen (die Bilder, Skulpturen usw.) nicht selbst die Kunst, sondern nur eine Art Rohmaterial, das zur Schau gestellt wird, das unsere Wahrnehmung auf die Probe stellt. Man kann daran vorbeigehen, dann ist einfach nichts passiert, man kann es anschauen, dann gefällt es oder nicht, dann kommt es als Dekoration für’s Wohn- oder Schlafzimmer in Frage, man kann es sehen, dann wird man an einer der größten Freuden teilhaben, die die Welt bereithält: der Empfindung von ästhetischer QUALITÄT, die jeder guten Kunst eigen ist, und diese Empfindung ist das „Erlebnis von Kunst".

    Wolfgang Walter ist ein Künstler, der sein Werk in den Dienst dieser Erkenntnis stellt. Selten sieht man ein „Rohmaterial", das derart bescheiden und sanft, gleichzeitig aber entschieden dargeboten wird, wie er es mit seinen Bildern tut. Die stellen keine Ansprüche und Fragen, die geben keine Antworten. In ihrem So-Sein wollen sie nichts ausdrücken als allein ihre Qualität, nämlich höchstmögliche Verdichtung von Form, Farbe und Material mit einem strengen Blick hin aufs Resultat, Konzentrierung aller Bestandteile, bis alles seinen unverrückbaren Platz eingenommen hat. So macht Wolfgang Walter seine Bilder.

    Denn in der Tat sind sie weit mehr gemacht als gemalt. Zwar gibt es da auch Pinsel in seinem Atelier, aber meist findet die Farbe direkt aus der Tube oder Flasche den Weg auf die Leinwand, und die Spachtel ist das Hauptwerkzeug. Und verschiedenartiger Sand aus diversen Säcken, Schachteln, wird gestreut. Und Kaltleim aus Eimern, wird geschüttet. Als Malgrund verwendet Wolfgang Walter traditionell Leinwand, auf Keilrahmen aufgespannt, und es gibt herrliche Geräusche, wenn die Spachtel mit nicht zu schwachem Druck darüberkrascht, eine Schicht aus nassem Sand zerpflügend.

    Oft liegen die Leinwände am Boden, während Walter sie bearbeitet, und seine Bewegungen werden aus stetem Annähern und Abstandnehmen gebildet: Das prüfende Auge braucht die Distanz, nimmt Maß, dann ein Ausfallschritt, und mit sicherem Spatel wird die Furche gezogen, die Farbe neu verteilt. Auf dem liegenden Bild stehen mitunter ganze Seen aus Wasser und Farbe, mit Inseln aus Sand und Steinen, die Walter darübergeschüttet hat. Indem der Künstler das Bild vom Boden anhebt, schräg stellt, geraten diese Flüssigkeiten in Bewegung, werden vom Sand aufgesogen, das Überflüssige verlässt die Leinwand und ergießt sich auf den Atelierboden – Wolfgang Walter „macht" sie wirklich, die Bilder, in einem physischen Vorgang, einer Kette von Prozeduren – manchmal bearbeitet er mehrere Leinwände gleichzeitig –, die vom Vorgang des stillen Komponierens weit entfernt sind. Walter ersinnt seine Bilder nicht, er, der Bildermacher, lässt sie vielmehr werden und macht sich selbst zum Werkzeug ihres Entstehens.

    Deshalb ist in ihnen so viel vom Künstler enthalten; wiewohl auf subtile Weise, denn dieses Persönliche befindet sich jenseits des Sichtbaren, ist aber der Kern dessen, was uns als fertiges Bild, als entschiedene „Qualität" entgegentritt. Wolfgang Walter beschränkt sich auf das Zurverfügungstellen von ästhetischem „Rohmaterial". Dies über unsere Augen in den Kopf zu lassen, ist ein Angebot, das man schwer ausschlagen kann, und eine Aufforderung, der man sich nicht widersetzen sollte: Denn dort wird es zur Kunst.

    Dr. Peter Laub

    Kunsthistoriker

    Salzburg, Juli 2007